Vera, Nadezhda, Ljubov

Vorhin, als wir Hagia Sophia als Kirchentitel besprachen, erwähnten wir ausdrücklich ihre Darstellung in der russischen Ikonographie.

In Russland gibt es drei Haupttypen der Heiligen Sophia. Alle drei erscheinen zuerst in  Nowgorod, dessen Kathedrale – die älteste Russlands, erbaut zwischen 1045 und 1050 – nach dem byzantinischen Vorbild Hagia Sophia gewidmet wurde.

Der erste Typ zeigt die Weisheit als feuergeflügelten – огнекрылой – Engel auf einem Thron, flankiert von der Jungfrau Maria und Johannes dem Täufer im Gebet. Diese beiden Heiligen stehen normalerweise in ähnlicher Pose neben dem Pantokrator, was zeigt, dass diese Darstellung der Weisheit in der patristischen Tradition Christus entspricht (1 Kor 1,24, "Christus, die Weisheit Gottes"). Zu sehen ist dies auf der Ikone der Nowgoroder Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert oder noch früher auf der Ikone der Moskauer Verkündigungskathedrale aus dem 15. Jahrhundert, die eine Kopie eines verlorenen Nowgoroder Originals ist. Die ungarische Forscherin Ágnes Kriza veröffentlichte kürzlich eine ausgezeichnete Monographie über diesen Typ, * über die ich noch ausführlicher schreiben möchte.

Der zweite Typ interpretiert Sprüche 9,1 ("Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut") als Inkarnation Christi, wobei das „Haus“ durch die Jungfrau Maria dargestellt wird. Das bekannteste frühe Beispiel dieses Typs ist die Ikone von 1548 aus dem Kirillow-Kloster in Jaroslawl (heute im Russischen Museum in St. Petersburg), die zahlreiche Varianten bis ins späte 18. Jahrhundert inspirierte.

Der dritte und am weitesten verbreitete Typ geht auf ein frommes Missverständnis zurück, das Hagia Sophia als „Heilige Sophia“ darstellt, begleitet von ihren drei Töchtern Vera, Nadezhda und Ljubov, also Glaube, Hoffnung und Liebe, die als sogenannte „göttliche Tugenden“ laut Theologie tatsächlich aus der göttlichen Weisheit stammen. Nach orthodoxer Tradition lebten sie und starben als Märtyrerinnen im 3. Jahrhundert in Rom. Ihre Verehrung wird erstmals im 6. Jahrhundert in Rom erwähnt. Sie wurden im 16. Jahrhundert in das römische Martyrologium aufgenommen und später wegen historischer Unverifizierbarkeit wieder entfernt. Die orthodoxe Kirche ehrt sie weiterhin und feiert ihr Fest am 30. September. Ihre früheste bekannte russische Darstellung ist eine Ikone des 16. Jahrhunderts aus Nowgorod, heute in der Tretjakow-Galerie.

Diese drei heiligen Töchter wurden ab dem 17. Jahrhundert äußerst populär und bilden ein fundamentales Motiv in der russischen Bildwelt. Ihr Triad steht hinter Tschechows Drei Schwestern und taucht als Referenz in der Dichtung des Silbernen Zeitalters auf, einschließlich Bunin, Blok und Achmatowa, sowie in sozialistischen Werken wie Arbuzows Das Haus in Tscherkisowo.

Ihre bekannteste moderne Inkarnation inszenierte jedoch der große Erbe der Dichtung des Silbernen Zeitalters, Okudschawa, in seinem Lied Drei Schwestern, in dem er, auf einem Krankenhausbett erwachend und sein Leben bilanzierend, erkennt, wie verschuldet er diesen drei Tugenden gegenüber bleibt.


Bulat Okudschawa: Три сестры (Drei Schwestern, 1959)

Опустите, пожалуйста, синие шторы.
Медсестра, всяких снадобий мне не готовь.
Вот стоят у постели моей кредиторы:
молчаливые Вера, Надежда, Любовь.

Раскошелиться б сыну недолгого века,
да пусты кошельки упадают с руки…
Не грусти, не печалуйся, о моя Вера, —
остаются еще у тебя должники!

И еще я скажу и бессильно и нежно,
две руки виновато губами ловя:
— Не грусти, не печалуйся, матерь Надежда,
есть еще на земле у тебя сыновья!

Протяну я Любови ладони пустые,
покаянный услышу я голос ее:
— Не грусти, не печалуйся, память не стынет,
я себя раздарила во имя твое.

Но какие бы руки тебя ни ласкали,
как бы пламень тебя ни сжигал неземной,
в троекратном размере болтливость людская
за тебя расплатилась… Ты чист предо мной!

Чистый-чистый лежу я в наплывах рассветных,
белым флагом струится на пол простыня…
Три сестры, три жены, три судьи милосердных
открывают бессрочный кредит для меня.

 

Bitte zieh die blauen Vorhänge herunter.
Schwester, bereite mir keine Medikamente vor.
Hier stehen meine Gläubiger an meinem Bett:
die stillen Glaube, Hoffnung und Liebe.

Der kurzlebige Sohn würde versuchen, etwas Geld auszugeben,
aber das leere Portemonnaie fällt aus seinen Händen.
Sei nicht traurig, verzweifle nicht, oh mein Glaube, —
du hast noch andere Schuldner!

Dann sage ich, machtlos und zärtlich,
meine Lippen mit beiden schuldigen Händen berührend:
— Sei nicht traurig, verzweifle nicht, Mutter Hoffnung,
du hast noch Söhne auf der Erde!

Ich strecke meine leere Hand der Liebe entgegen,
und höre reumütig ihre Stimme:
— Sei nicht traurig, verzweifle nicht, die Erinnerung verblasst nicht,
ich habe mich in deinem Namen verschenkt.

Und welche Hände dich auch streichelten,
welche Flammen unirdischen Feuers dich verbrannten,
das menschliche Gerede hat dreifach für dich bezahlt… Du bist rein vor mir!

Makellos liege ich in der Flut der Morgendämmerung,
das Laken wie eine weiße Fahne auf den Boden fallend…
Drei Schwestern, drei Frauen, drei barmherzige Richter
eröffnen mir einen unbegrenzten Kredit.

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