Die Miao sind eine der farbenprächtigsten ethnischen Gruppen Chinas. Unter anderem deshalb, weil die offiziell zehn Millionen Mitglieder nicht nur eine Gruppe bilden, sondern aus mindestens vierzig verschiedenen ethnischen Untergruppen bestehen. Als der chinesische Staat in den 1950er Jahren die offizielle Liste der chinesischen Ethnien erstellte, stieß er hier in den Südwestbergen auf so viele kleine Gruppen, dass er aus Vereinfachungsgründen alle unter die Kategorie „Miao“ zusammenfasste. Die Chinesen hatten diese ursprünglich abwertende Bezeichnung ohnehin schon seit Jahrhunderten für alle kleinen „südlichen Barbaren“-Bergvölker verwendet.
Dasselbe geschah hier wie im östtibetischen Tal des Dadu-Flusses, dem sogenannten „ethnischen Korridor“, wo aus Gründen der Vereinfachung wurden alle Kleingruppen der tibetischen Ethnie zugerechnet, obwohl sie selbst keine tibetische Identität haben und von den Tibetern auch nicht als solche anerkannt werden.
Wenn man „Miao“ hört, denken viele: aha, vermutlich wohnen sie oberhalb der Wuff und etwas tiefer der Pieps. Interessanterweise ist das kein Scherz: der Name hat tatsächlich mit der Katze zu tun. Das chinesische Schriftzeichen für Miao ist 苗 miáo, das ein in vier Teile unterteiltes Feld 田 mit sprießenden Pflänzchen 艹 darstellt und ursprünglich „Keim“, „junge Pflanze“ bedeutete. Die Volksgruppe erhielt dieses Schriftzeichen aufgrund der phonetischen Ähnlichkeit, während die chinesische Tradition später versuchte, ihm eine Bedeutung zu geben, indem sie erklärte, die Miao seien das älteste Ackerbauvolk im heutigen China gewesen. Das Schriftzeichen für Katze ist 貓 māo, das links das Radikal „kleines Tier“ und rechts das phonetische Element 苗 enthält: ein „kleines Tier“, das wahrscheinlich nach seinem Laut miao/mao genannt wird.
Soweit ich weiß, ist dies der einzige chinesische Tiername, der auf Lautnachahmung basiert. Auch das älteste chinesische Wörterbuch Shuowen Jiezi (um 100 v. Chr.) versucht dies zu erklären: 鼠善害苗。貓能捕鼠,故字从苗 — „Die Maus zerstört die Saat. Die Katze fängt die Maus, daher leitet sich das Schriftzeichen für Katze von 苗 ‚Saat‘ ab.“ Eine eher erzwungene Erklärung, nach der Prinzip lucus a non lucendo.
Der Name „Miao“ umfasst mindestens vierzig ethnische Gruppen, die etwa zwölf Sprachen und vierzig Dialekte sprechen. Da die Trachten der Miao-Frauen besonders farbenprächtig und reich verziert sind, werden die Gruppen hauptsächlich nach ihrer weiblichen Kleidung unterschieden. Im Dorf Langde bei Guizhou leben die „Langhemden-Miao“.
Langde 郎德 – genauer gesagt Shanglangde 上郎德, Ober-Langde, da Unter-Langde neben der Hauptstraße mittlerweile ein modernes Dorf ist – ist ein kleines Bergdorf am Fluss Bala in der autonomen Präfektur Qiangdongnan für Miao und Dong, am Fuße des Leigong-Berges, dem höchsten Gipfel des Miaoling-Gebirges. Die Diàojiăolóu-Häuser (吊脚楼 — auf Stelzen gebaute Häuser mit Wohnungen in den oberen Stockwerken) reihen sich terrassenförmig vom Flussufer den Hang hinauf.
Die Häuser am Dorfende bilden eine Art Mauer mit Toren, die den Zugang ins Innere ermöglichen. Die unteren Häuser umschließen einen quadratischen Hauptplatz, an einer Seite das Gemeinschaftshaus mit Trommeln, großen symbolischen Silber-Miao-Schmuckstücken und einer Ausstellung zur Ortsgeschichte; die anderen Seiten werden von kleinen Läden und Gaststätten gesäumt. Ein weiterer Platz beherbergt einen großen Teich mit einer halb versunkenen Büffelstatue: traditionell wurden hier Fische aufgezogen, die später auf die Reisfelder gesetzt wurden, und der Teich dient auch als Löschwasserreservoir. Von den beiden Plätzen führen steile Straßen den Hang hinauf, dann lange Wege zu den Dorfgrenzen, von denen aus man herrliche Ausblicke auf die Dächer des Dorfes und den Fluss hat. Über den Fluss führt eine gedeckte Dong-Brücke, die Dong nennen sie Blumenbrücke, während die Chinesen sie „Wind- und Regenbrücke“ nennen; sie ist jedoch nicht so kunstvoll dekoriert wie die originalen Dong-Brücken.
Dank des intakten architektonischen Erbes und der reichen musikalischen und rituellen Traditionen wurde das Dorf 2012 zu einem der ersten Orte, die den Titel „Chinesisches traditionelles Dorf“ erhielten.
Das Dorf hat etwa 1.600 Einwohner, alle Miao, die den Hmu-Dialekt (2,3 Millionen Sprechern) der Hmong-Sprache sprechen. Sie leben in patrilinearen Großfamilien, ihre Religion ist Animismus und Schamanismus, mit Natur- und Ahnenkult. Die Dorfbewohner bauen hauptsächlich Reis an, aber viele junge Menschen ziehen in die Stadt, da das Bildungsniveau hoch ist. Die Mehrheit trägt noch traditionelle Trachten: Männer lange indigoblaue Gewänder, Frauen ebenfalls in indigoblau, reich und farbenfroh bestickt, mit zahlreichen Silberschmuckstücken, darunter Brustplatten mit Stierkopf und riesige Silberkronen mit großen Mondhörnern. Heutzutage gibt es solche Silberschmuckstücke nicht mehr, aber im Dorf kann man weiterhin authentische Trachten kaufen, sowohl antike als auch neu angefertigte.
In China heiratet man innerhalb des Clans nicht. Deshalb müssen kleine Bergdörfer, die nur aus einem Clan bestehen, wie Langde, Gelegenheiten schaffen, dass junge Leute andere Dörfer kennenlernen. Aus diesem Zwang entstand die Tradition der Miao-Aufnahmefeste, die heute vor allem der Identitätsbewahrung dienen.
Traditionell veranstaltete jedes Dorf an unterschiedlichen Tagen einen „Mädchenmarkt“, bei dem die Eltern die Besucher zeremoniell empfingen, sie auf den Hauptplatz führten, auf dem die Mädchen tanzten, und unter wachsamen Blicken der Eltern war auch ein Gespräch zu zweit möglich. Heute wird dieses Ritual weiterhin durchgeführt, ohne Heiratsabsicht, nur zum Vergnügen, zur Identitätserhaltung und zur Unterhaltung der Besucher, vor allem inländischer Touristen. Teilnehmer erhalten Gutscheine, die am Monatsende in Geld eingetauscht werden können, wodurch auch eine kleine finanzielle Motivation besteht.
Am Morgen des Festes, gegen elf Uhr, füllt sich der Hang vor dem unteren Tor, mit Blick auf den Fluss und den Weg, mit Dorfbewohnern in Festtracht. Dies sind ihre echten traditionellen Kostüme, zu Hause aufbewahrte Stücke, und die zahlreichen Silberschmuckstücke und fein gearbeiteten Silberkronen der Frauen sind ebenfalls echt. Heute gibt es solche Silberschmuckstücke nicht mehr, aber im Dorf kann man weiterhin authentische Trachten kaufen, sowohl antike als auch neu angefertigte.
Entlang des Weges vom Fluss zum Tor werden elf kleine Tische aufgebaut, an jedem stehen zwei bis drei ältere Frauen. Auf jedem Tisch steht ein Krug leicht fruchtigen Weins. Den Besuchern werden pro Tisch zwei Tassen angeboten, am zwölften Punkt gibt es sogar einen ganzen Trinkhörner voller Wein, sodass die jungen Männer zu Beginn der Vorstellung schon gut gelaunt sind – und vermutlich auch ihr Urteilsvermögen leicht beeinträchtigt ist.
Unterdessen beginnen die Männer, die am Hang stehen, auf ihren Qeej (aus Bambus) zu spielen. Das Qeej ist das am weitesten verbreitete Instrument der Hmong. Es dient nicht nur der Musik, sondern auch der Kodierung der Sprache; Hmong-Geschichtenerzähler können allein mit dem Qeej Geschichten erzählen. Es kommuniziert auch mit den Geistern: Bei Beerdigungen leitet es die Seele der Verstorbenen ins Jenseits und bittet die Ahnen um Rat und Segen für den Festtag der Partnerwahl.
Dann ziehen Musiker und Frauen in den Hauptplatz ein, die Gäste folgen.
Die Gäste setzen sich auf die Treppen des Gemeinschaftshauses, von wo aus sie beobachten, wie die Gastgeber durch verschiedene Zugänge auf den Platz treten und verschiedene Tänze aufführen.
Der erste Tanz wird von den Müttern gezeigt, als Einführung: „Schau die Mutter an, nimm die Tochter“ – eher für Gleichaltrige, damit sie beurteilen können, wie stark und wendig die zukünftige Partnerin ihrer Söhne sein wird, wenn ihre eigenen Kinder heiratsfähig sind.
Der zweite Tanz gehört den jungen Mädchen: dies ist die Präsentation ihrer „Ware“. Ein eleganter, feiner, anmutiger Tanz. Die Musik ändert sich: Während der Tanz der Mütter von traditioneller Miao-Musik begleitet wird, ertönt nun moderner chinesischer Pop, die Musik ihrer Generation, ihre gemeinsame Sprache mit den zuschauenden Jungen.
Dieses Jahr bin ich schon zum dritten Mal bei diesem Fest, sehe zum dritten Mal denselben Tanzablauf – und doch sind die Tänze jedes Mal anders. Es scheint, sie haben ein großes Repertoire, und jedes Mal wählen sie zwei andere Stücke daraus, damit ihnen nicht langweilig wird.
Zwischen den Tänzen kommt ein kleines Mädchen aus dem Laden und tanzt freudig zur Gruppe der älteren Mädchen, übt dabei schon ihre zukünftige Rolle.
Der dritte Programmpunkt ist der Chor der Großmütter, die die Gäste begrüßen und die bisherigen Tänze in die Tradition einbetten.
Beim vierten Tanz betreten die Väter den Platz, spielen mit ihren Qeej, kommunizieren mit den Ahnen und bitten um Segen für den Partnerwahltag.
Schließlich betreten alle bisherigen Gruppen den Platz und gehen im Kreis, um die Gemeinschaft zu symbolisieren. Die Zuschauer schließen sich an, ebenso wie früher die jungen Männer, die so ihre Wahl kennenlernen konnten, unter Aufsicht der Eltern.
Was haben wir hier gesehen? Ein zynischer Europäer mag denken: nur eine Show für Touristen. Aber das ist nicht so sicher. Man kann davon ausgehen, dass auch die Chinesen ihre Traditionen lieben und genauso aus Freude an ihnen leben wie z. B. die Menschen in Siebenbürgen beim Tanzhaus. Freude und Begeisterung sind spürbar. Auch wenn Touristen kommen – im Januar waren nur ein oder zwei da –, die Aufführung findet statt. Und sie würde auch ohne Touristen stattfinden. Die Kleidung ist echt, wird auch im Alltag getragen; die Tänze sind authentisch. Moderne Popmusik taucht gelegentlich auf, zeigt aber die Lebendigkeit des Brauchs. Dass die Teilnehmer vom Gemeinderat Geld bekommen, mindert die Authentizität des Festes nicht. Wünschten wir uns doch, dass anderswo, auch in Osteuropa, die Behörden so die Bewahrung von Traditionen und die Stärkung der Identität ethnischer Minderheiten unterstützten, indem sie ihre Praxis fördern.
















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