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Am Abend, als wir nach Tirana hineinfahren, huscht er am Rand der Autobahn vorbei: ein merkwürdiges Gebäude mit geschwungenen Betonwänden, die an die Kapelle von Ronchamp erinnern, und einem schwach leuchtenden Kreuz an der Fassade. „Eine moderne Kirche?“, denke ich. Was für eine originelle Form! Am nächsten Morgen, bevor wir weiter nach Berat fahren, biegen wir ab und halten direkt davor.
Doch nun zeigt sich, und auch die Karte bestätigt es: keine Kirche – sondern ein Krankenhaus. Ein Tierkrankenhaus, um genau zu sein. Aber was für eine Gestalt! Die konkaven Betonwände schließen den Bau nicht ab, sondern umreißen ihn nur, wie Segel, die ein Schiff umfangen. Zwischen diesen Segeln schiebt sich der Rumpf hervor: unregelmäßige Gesimse, große Glasfronten – und oben ein „Deck“, auf dem kleine Granatapfel- und Olivenbäumchen wachsen.
Von diesem Deck späht auch ein „Seemann“ herab: ein schwarz gekleideter, lachender Arzt. Als er uns fotografieren sieht, fragt er, ob wir auf die Dachterrasse hinauf möchten. Natürlich möchten wir. Er kommt herunter, holt uns ab, führt uns durch die Rezeption, entlang von Betonfluren, die von kreisförmigen Gebilden überspannt sind, und bringt uns hinauf ins obere Stockwerk.
Auch die beiden Dachterrassen werden von den konkaven „Segeln“ gefasst, die in Hochbeeten weitergeführt und mit der Umgebung verbunden sind. Jetzt wird klar: Beton war keine Willkür, sondern fügt sich erstaunlich harmonisch in die Nachbarschaft ein. Wir befinden uns in einem der elegantesten Viertel Tiranas, wo zwischen sanften Hügeln moderne Wohnblocks emporragen. Mehrere internationale Architekturbüros haben hier markante Bauten errichtet. Und dieses Krankenhaus fügt sich wunderbar ein – und sticht doch zugleich heraus, wie eine riesige Henry-Moore-Skulptur im Stadtraum.
„Es musste auffallen,“ erzählt unser Begleiter Emre Aslan – „Löwe Emmerich“ –, der aus Ankara nach Tirana gekommen ist, um gemeinsam mit drei albanischen Tierärzten dieses Krankenhaus zu gründen. „In Albanien erreicht man nichts ohne Beziehungen. Wir hatten keine, also wäre eine Genehmigung für ein normales Krankenhaus aussichtslos gewesen. Aber wenn man etwas als Kunst präsentiert, dann springen die Behörden darauf an. Und genau so ist es gekommen.“
Den Entwurf übernahm das Schweizer Büro von Davide Macullo. Ein Blick auf deren Website lohnt sich: Dort zeigen sie das Krankenhaus in Bildern, die viel eindrucksvoller sind als die, die ich bei unserem kurzen Besuch aufnehmen konnte – während ich versuchte, dem Arzt zu folgen und gleichzeitig meine Mitreisenden aus dem Sucher fernzuhalten.
Auch Emre selbst war in den Entwurf involviert, beriet den Architekten und kommentierte dessen Pläne. „Ursprünglich sollte das Gebäude voller Fenster sein,“ zeigt er mir auf seinem Handy. „Wie ein großer Emmentaler Käse. Also bat ich Davide, die Fenster wegzulassen.“ So entstand der heutige massive, burgartige Bau, dessen Brutalismus überraschend gut zu den jüngeren Bautraditionen Albaniens passt. Doch die runden Formen mildern die Strenge, erinnern an Alvar Aaltos organischen Modernismus, an die geschwungenen Betonarchitekturen Oscar Niemeyers oder an Le Corbusiers späte Werke – wie eben die Kapelle von Ronchamp.
„Als wir nachts daran vorbeifuhren, hielt ich es für eine Kirche,“ sage ich. „Hier in der Nähe wird gerade eine moderne Kirche gebaut,“ entgegnet er, „aber unsere ist viel schöner. Die andere“ Er sucht nach einem Vergleich, „die sieht aus wie ein Krankenhaus.“ „Sie könnten ja tauschen, damit jeder das passende Gebäude hat,“ schlage ich vor. „Ach, mir gefällt es so besser,“ sagt er. „Wir dienen Gott auch – nur auf andere Weise, indem wir seine Geschöpfe heilen.“
Bald wird klar, dass nicht nur die Architektur originell ist, sondern auch das Krankenhaus selbst: das beste Tierkrankenhaus Albaniens. „Wir sind zum Beispiel die Einzigen, die Tierzahnmedizin anbieten. Ich bin der einzige Spezialist des Landes. Vor allem Katzen haben Probleme: Von Trockenfutter allein kauen sie zu wenig, ihre Zähne verkümmern. Also fertigen wir sogar Prothesen für sie an.“ Ich stelle mir vor, wie eine Katze abends vor dem Schlafengehen ihr Gebiss herausnimmt und ins Wasserglas auf dem Nachttisch legt – doch tatsächlich sind die Prothesen fest eingesetzt. „Einmal mussten wir eine Gehirnoperation bei einem großen Hund durchführen. Der eingeladene türkische Spezialist bekam von der örtlichen Humanmedizin das Angebot, ihre Operationssäle zu nutzen. Aber er schaute sich um und entschied sich für unseren. Er sagte: Der ist viel besser.“
Das Gebäude hat bereits zahlreiche Preise gewonnen, wurde in Fachzeitschriften vorgestellt und lockt Fotografen aus aller Welt an. „Hier im Viertel,“ zeigt Emre, „haben die Leute anfangs gegen den Bau eines Tierkrankenhauses nebenan protestiert, sie wollten es mit allen Mitteln verhindern. Aber seit der Eröffnung im Jahr 2024 sehen sie, wie berühmt es geworden ist, und sind stolz darauf. Es steigert den Wert der ganzen Gegend – und damit auch ihrer Wohnungen.“




















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